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5. April Kino im Schillerhof Jena: "Wie international war die DDR-Gastronomie wirklich – und was blieb davon übrig?" – im Gespräch mit Historikerin Nancy Nilgen

Bereits während ihres Studiums an der Universität Leipzig beschäftigte sich Nancy Nilgen mit der Analyse historischer Kochbücher. In ihrer Masterarbeit setzte sie sich mit der Süßwarenindustrie in der DDR auseinander und forscht nun in ihrer Doktorarbeit zu Kochbüchern aus der DDR und den sich darin widerspiegelnden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Am 5. April spricht Nancy Nilgen im Kino im Schillerhof in Jena im Anschluss an den Film „Sushi in Suhl“ über die Internationalität der Gastronomie in der DDR und geht den Spuren nach, die diese in der Jetzt-Zeit hinterlassen hat.

nutriCARD: Liebe Frau Nilgen, wir freuen uns sehr, dass Sie zu unserer nutriCARD-Filmreihe Lecker Kino! nach Jena kommen und mit uns gemeinsam einen Blick zurück in die Geschichte der DDR-Gastronomie und ihre ureigene kulinarische Raffinesse werfen! Denn trotz oder vielleicht gerade wegen des allseits bekannten Mangels an exotischen Lebensmitteln war der Ideenreichtum der Köch:innen doch sehr ausgeprägt, oder?

Nancy Nilgen: Sehr viele Möglichkeiten hatten Berufsköch:innen zu dieser Zeit leider oft nicht. Es sei denn natürlich, man war in der Spitzengastronomie tätig. Falls Ideenreichtum und persönliche Leidenschaft vorhanden waren, sah man sich aber in aller Regel mit den Versorgungsproblemen – nicht nur an bestimmten Zutaten, sondern auch an Ausstattung – festgefahrenen Strukturen und politischen Vorgaben konfrontiert. Das hatte natürlich viel Frust zur Folge. Beim privaten Kochen konnte man da schon mehr ausprobieren. Kochbücher waren häufig um einiges vielfältiger als die Speisekarten der späteren HO-Gaststätten. Wenig überraschend mussten auch Hobbyköch:innen viel mit heimischen Produkten improvisieren.

nutriCARD: Wie stand es um die Gastronomie mit internationaler Küche zu DDR-Zeiten?

Nancy Nilgen: Es gab ab Mitte der 1950-er Jahre sogenannte Nationalitätengaststätten. Nicht sehr viele und auch nur in größeren Städten. Allein sieben davon in Ostberlin. Das Café Moskau, Haus Budapest, Haus Warschau, Haus Bukarest, Sofia, Praha und Morava. In Potsdam gab es noch das Café Minsk und in Leipzig das Kiew und das Ostrav. Letzteres mit tschechischer Küche. Auch in Zwickau und Dresden gab es diese Art der Gaststätten. Nur eines bot nicht Küchen aus den sogenannten sozialistischen Bruderländern an. Mit dem Sakura im Leipziger Interhotel Merkur eröffnete zur Frühjahrsmesse 1981 auch ein japanisches Restaurant. Nach dem Suhler Waffenschmied – der nicht offiziell als Nationalitätengaststätte galt – war dies das zweite japanische Restaurant in der DDR. Die Nationalitätengaststätten gehörten zur gehobenen Gastronomie. Man beschloss zum XI. Parteitag der SED 1986 einige weitere zu eröffnen, weil man sich den gestiegenen Konsumbedürfnissen der Bevölkerung bewusst war. Experten sahen großes Potenzial in den ostasiatischen Küchen. Aber die Umsetzung passierte erst nach der Wende und dann auch durch private Unternehmer. Darüber hinaus gab es einige Leuchttürme wie das Fioretto in Ostberlin, ein privat geführtes Restaurant mit italienischer Küche, aber das waren Ausnahmen.

nutriCARD: Welches ist Ihrer Meinung nach das empfehlenswerteste Kochbuch aus dieser Zeit?

Nancy Nilgen: Bei der immensen Auswahl an Kochbüchern aus dieser Zeit könnte ich mich persönlich nie für nur das eine Buch entscheiden. Aus wissenschaftlicher Sicht finde ich beispielsweise die Rezepthefte, die in der Nachkriegszeit entstanden sind, besonders spannend. Das erste „richtige“ Kochbuch erschien dann erst in den 1950-er Jahren und nach der Auflistung der Rezepte zu urteilen, war das eher eine Kopie eines Kochbuchs aus der Vorkriegszeit. Ab den 1960-er Jahren wurden die Kochbücher immer vielfältiger und der ostdeutsche Kochbuchklassiker „Wir kochen gut“ kam das erste Mal auf den Markt. Bis heute wird dieses Kochbuch regelmäßig neu aufgelegt und erfreut sich als Grundlagenkochbuch nach wie vor größter Beliebtheit.

nutriCARD: Vielen Dank, Frau Nilgen, für das Gespräch! Wir sind sehr gespannt auf ihre Ausführungen und die Diskussion mit Ihnen im Anschluss an „Sushi in Suhl“!

Nancy Nilgen forscht in ihrer Doktorarbeit zu Kochbüchern aus der DDR.